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Führen auf Distanz – Die Quellen der Probleme

Eike Eilks, Interim Manager, Berater und Coach

Führung auf Distanz

Welche Nachteile sind zu kompensieren?

Corona hat einen erheblichen Teil der Unternehmen gezwungen, Homeoffice zu ermöglichen. Für viele Arbeitnehmer war das etwas Neues und für viele etwas, auf das sie nicht vorbereitet waren. Und weil es etwas Neues war, war es auch ein interessantes Thema für die Medien.

Die meisten Medien betonen dabei die Vorteile des Homeoffice und den positiven Schub für die „Digitalisierung“, auch wenn dieser Aspekt hier nur wenig passt. Auch einige Schwierigkeiten werden erwähnt, von den organisatorischen Problemen mit parallel notwendigem „Homeschooling“, vom Fehlen eines geeigneten Arbeitsplatzes in der Wohnung bis hin zur in Deutschland oft schlecht ausgebauten IT-Infrastruktur.

Darüber ist viel geschrieben worden und es gibt viele gute Ratschläge. Darum an dieser Stelle keine weiteren.

Büroabstinenz und die Folgen

Von Teams und Verbindungen

Was aber macht die Abstinenz vom Büro mit uns als Mitglied im Team unserer Kollegen? Wie wirkt sich diese auf unsere Zusammenarbeit aus? Was prägte neben der Gestaltung des Arbeitsplatzes, der Verfügbarkeit einer Büroinfrastruktur und der Aufgabe unsere Arbeitswirklichkeit?

Wir Menschen sind soziale Wesen, die überwiegend gerne in Gruppen leben. Diese Gruppen finden ihren Zusammenhalt in vielfältigen Formen und Ebenen der Kommunikation.

Im Homeoffice reduziert sich die Kommunikation auf mehr oder weniger zwei Kanäle. Inhaltlich wird letztendlich nur noch über eine Gruppe von Objekten gesprochen, die durchweg aus dem beruflichen Kontext stammen. Wir reduzieren den Austausch auf schriftliche Medien wie E-Mail, Chat oder das Bereitstellen von Dateien an abgestimmtem Stellen. Im besten Fall kommt ein persönlicher Kontakt ggf. noch über Telefon zu stande. Alle diese Kanäle werden aber nur dann benutzt, wenn dazu ein sachlich bedingter beruflicher Anlass besteht.

Konzentration auf das Wesentliche ?


Man konzentriert sich auf das Wesentliche. Ein spontaner Austausch am Arbeitsplatz des Kollegen findet nicht mehr statt, der Plausch an der Kaffee-Ecke über das vergangene Wochenende, das Wetter, das Fernsehprogramm oder die Bundesliga fallen aus. Die Reaktion auf nonverbale Wahrnehmungen („Geht es Dir heute nicht so gut, was ist passiert? Hast Du private Probleme?) entfallen.

Dieses verändert die Bindungskräfte auf der sozialen Ebene. Typische Mittel der verbalen Kommunikation, wie Satire oder Ironie werden am Telefon oder im Web-Chat durch das Fehlen der Körpersprache missverständlich. Dieses verstärkt sich, wenn es durch technisch bedingte Unzulänglichkeiten zu einer Asynchronität zwischen Mimik und verbalem Ausdruck kommt. Wir können dieses kognitiv zwar verstehen, vorausgesetzt wir bemerken sie, unsere emotionale Verarbeitung ist hierauf jedoch nicht vorbereitet, dass es zu einem Versatz zwischen dem gesprochenen Wort, seiner Stimmlage und Sprechegeschwindigkeit auf der einen Seite und dem übertragenen Bild gibt. Unser Gegenüber wird als Schauspieler und „Falscher Hund“ empfunden.

Vertrauen

Vertrauen ist nicht nur ein Ergebnis von Handeln, sondern in erster Linie ein Ergebnis sozialer Interaktion. Fällt diese aus, dann bröckelt das Vertrauen. Ohne Vertrauen fühlen Menschen sich nicht wohl. Mit diesem Unwohlsein einhergehend reduziert sich der Zusammenhalt im Team. Die Folge ist eine höhere Bereitschaft das Team oder sogar den Arbeitgeber zu wechseln. Diese Tendenz ist in Umfragen und auch in der realen Tendenz inzwischen bereits bemerkbar.

Wie neben der Slack®-Studie viele weitere Studien und Umfagen zeigen, wird die Zukunft wohl ein hybrides Nebeneinander zwischen Homeoffice und Büro sein wird. Die Mehrheit der Befragten wollen mindestens 1-2 Tage pro Woche zurück in das Büro. Arbeit mit den Kollegen wird als soziales Event empfunden, ähnlich gemeinsamer Aktionen und Treffen in vielen Vereinen. Nur eine Minderheit will zu 100% zurück in das Büro oder zu 100% nur noch im Homeoffice arbeiten.

Defizite

Viele der Befragten bemängeln bei der Arbeit auf Distanz, dass sie keine Möglichkeiten bietet spontan und kreativ sich zu bestimmten Themen auszutauschen. Solche sonst offenen und meist formatfreien „Brainstormings“ bedürfen aus dem Homeoffice heraus einer Einladung an einen definierten Teilnehmerkreis, meist auch schon mit einem definierten Thema. Aus Spontanität wird Organisation und damit werden die kreativen Kräfte begrenzt. Oft verenden die Impulse in einer verwaltenden Tätigkeit.

Um genau zu sein, reduziert sich die Interaktion auf geplante und zweckgebundene „Events“. Das wirkt sich insbesondere auch auf bislang besonders gut aufeinander abgestimmte Teams mit hoher Bindung aus. Dort wo der berufliche Kontakt den Rahmen für den privaten Austausch geboten hat und das Team eine inhaltliche Heimat darstellte, fällt durch die Struktur der elektronischen Meetings und der Notwendigkeit der Anberaumung der private Austausch fast völlig aus. Wo man sonst auf dem Weg in das Besprechungszimmer über private Themen gesprochen hat und dieses auch auf dem Rückweg oder beim Reinigen der Whiteboards tut, enden elektronische Meetings im Gegensatz dazu in wenigen Sekunden.

Reduktion der Bindung

Zumal, wie Eingangs schon beschrieben, Chats und Videokonferenzen kein vollständiger Ersatz für einen persönlichen Austausch sind. Schon nach wenigen Wochen sinken die sozialen Bindungskräfte zwischen den Kollegen merklich. Auch erfahrene und eingeschworene Teams nehmen dieses wahr, zum Teil besonders deutlich. Wenn aber soziale Bindungen wegbrechen, suchen und ersetzen Menschen diese durch neue oder verstärken bestehende Bindungen, die aufrecht erhalten werden können. Das berufliche Umfeld verliert an Bedeutung, der Weg vom engagierten Kollegen, belohnt vom Feedback seiner Kollegen, zum pflichterfüllenden Mitarbeiter ist beschritten.

Wir sind nicht alle gleich

Und nicht zuletzt ist anzumerken, das Kollege nicht gleich Kollege ist. Wir haben unterschiedliche Bedürfnisse und jede erfahrene Führungskraft weiß, das eine hohe Diversität im Team meist ein Wettbewerbsvorteil ist.  Ein paar Beispiele:

Introvertierten Kollegen fehlt im Homeoffice oft das Feedback ihrer Umgebung. In der Folge neigen sie dazu ihre Arbeit an vermeintlich verstandenen Zielen auszurichten und lange Wege zurückzulegen, ohne dass dem Team gewahr wird, das zwar viel Leistung erbracht wird, diese aber leider in eine vom gemeinsamen Ziel abweichende Richtung.

Stark kooperativen Menschen fehlt der persönliche Kontakt. Ein erheblicher Teil ihres Beitrages zum Teamerfolg besteht im Büro nicht in der direkten Wertschöpfung, sondern in der verbindenden Wirkung auf das Team. Wie wertvoll dieser Beitrag ist, wird immer erst dann deutlich, wenn diese Wirkung nachlässt oder wegbricht.

Netzwerker stehen den Abteilungen und Gruppen mit ihren vielen internen Kontakten oder mit Kontakten bei Lieferanten oder Kunden zur Verfügung. Wenn irgendwo ein Problem entsteht, bieten sie spontan Hilfe an, indem sie Ansprechpartner nennen („Warte mal, ich kenne da jemanden, der….“), die über hilfreiches Wissen, über spezielle Erfahrungen oder die Bereitschaft verfügen, in die Bresche zu springen und dem Team somit zu helfen. Diese Funktion reduziert sich stark, da viele Probleme in der Zusammenarbeit auf Distanz an ihnen vorbeilaufen und sie somit ihre speziellen Fähigkeiten nicht mehr einbringen können. Zudem reduzieren sich solche Netzwerke auch mit zunehmender Zeit in der Arbeit auf Distanz.

Arbeit auf Distanz ist anders

Wir sehen, dass das Arbeiten auf Distanz anders ist und dass wir viele zwischenmenschliche Interaktionen nur sehr vordergründig über technische Hilfsmittel transportieren können.

Bei jeder Transformation von Signalen geht, wie jeder Techniker weiß, ein Stück Signalqualität verloren. Auch wenn die technischen Hilfsmittel immer besser werden, müssen wir uns dieser Realität stellen. Und diese Realität wird leider durch die beschriebenen Probleme immer anspruchsvoller.

Mit der Form der Zusammenarbeit und dem Setzen bestimmter Rahmenbedingungen können wir diesen Verlust begrenzen, leider aber auch ihn beschleunigen. Wir müssen uns dessen bewusst sein und unser Verhalten in der Führungsaufgabe hieran anpassen.

Hierüber werde ich in den nächsten Beiträgen dieser Serie berichten.

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