Die Realität der sozialen Systeme
Menschen leben in sozialen Systemen, sie stellen soziale Systeme dar und sie arbeiten in sozialen Systemen. Also bilden auch Projekte und Projektteams solche Systeme. Es lohnt sich einen Blick auf die Ansätze von Niklas Luhmann zu werfen, der die Strukturen und Interaktionen in sozialen Systemen beschrieben hat. Dabei ist sicherlich die Frage zu beantworten, ob Systemisches Projektmanagement nutzt die systemischen Konzepte als Basis für das Verständnis, was im Projekt passiert.
Niklas Luhmann proklamiert, dass sich Menschen mit ihren Interaktionen, ihrer Kommunikation und ihrem Verhalten nicht einem kognitiv logischen eindimensionalen Ziel verschreiben, sondern in ihrem Handeln einem vielfältigen Einflussfeld folgen, in dessen Mittelpunkt der Mensch selber und alle anderen Menschen mit ihrer Kommunikation innerhalb des System stehen. (Siehe Wikipedia: Kommunikation (Luhmann) )
Systemisches Projektmanagement
Systemisches Projektmanagement nutzt die systemischen Konzepte als Basis für das Verständnis, was im Projekt passiert. Es bietet darauf basierend Ansätze, um auf das Projekt oder besser auf das Projektteam Einfluss zu nehmen. Systemisches Projektmanagement dient im Kern dazu, die Zusammenarbeit im „Projektteam“ als sozialen System von Beginn an positiv zu beeinflussen.
Der klassische Ansatz
Klassische Projektmanagementsystematiken gehen davon aus, dass ein Projekt analog einer Reihe miteinander gekoppelter mechanischer Maschinen funktionieren kann und sollte.
Nach diesem Verständnis ist es erforderlich, die zur Erreichung des Projektzieles notwendigen Elemente ausreichend genau und vollständig zu erfassen und diese dann in einem sinnvollen Ablauf zu organisieren. Die Erreichung des Projektzieles erfolgt also analog der seit Ende des 19-ten Jahrhunderts verbreiteten Fertigungsstrukturen. Die in diesem System eingesetzten Menschen sollen dieser Vorstellung zur Folge ebenfalls analog wie Maschinenelemente agieren und die ihnen zugewiesenen Aufgaben durchführen.
Die Realität
In der Realität funktioniert dieses jedoch nur sehr beschränkt.
Statt wie im Modell infolge einer bestimmten Information mit einer qualitativ wie quantitativ exakt geplanten Reaktion zu agieren, folgen die Reaktionen der Menschen wesentlich komplexeren Feldern an Einflüssen. (Versuche dieses Modell zu erzwingen führten zu überbordenden Kontrollprozessen, bei denen Ziel und Aufwand oft nicht mehr in einem sinnvollen Verhältnis standen.)
Diese Einflüsse ergeben sich zu einem erheblichen Teil aus dem Inneren des Menschen (z.B.: Erfahrungen, Ausbildung, Stimmungen, Motivation, Belastungen …..), wie auch aufgrund von Einflussfaktoren aus der Umwelt, die zum Teil nur mittelbar mit der beruflichen Aufgabe zu tun haben. Damit wird auch die Wiederholbarkeit dieser Reaktion bei Wiederauftreten der gleichen Information unwahrscheinlich.
So wird die Kritik eines Kunden an einem Dienstagmorgen um 9:00 Uhr wahrscheinlich eine andere Reaktion auslösen, als wenn die gleiche Kritik am Freitagnachmittag auf der Heimfahrt in das Wochenende den Mitarbeiter auf dem Handy erreicht. (–> Ein Beispiel)
Das mechanische Projektmodell berücksichtigt viele Aspekte des sozialen Systems „Projektteam“ ebenso wenig wie Themen des inneren Systems des einzelnen Mitarbeiters (siehe F. Schulz von Thun: Das innere Team) . Diese Aspekte ergeben sich aus dem beruflichen Umfeld, wie der Qualität und dem Stil der Führung, wie der Unternehmenskultur ebenso wie aus der Dynamik und Komplexität des Projektes, aber auch aus privaten Einflüssen, wie private Belastungen, Grundstimmung, Optimismus und beruflicher Perspektive.
Da sich solche Aspekte individuell unterschiedlich auswirken, kann ein klassisches Modell diese auch nicht folgerichtig bewerten und berücksichtigen. Weder können alle relevanten Eingangsparameter erfasst noch deren Wirkungen in der „Regelung“ des Systems quantifiziert werden. Der Umgang mit einer privaten Belastung z.B. ist stark abhängig von der individuellen Resilienz des Mitarbeiters (und diese ist nicht messbar), damit variiert der Einfluss der privaten Belastung auf die Performance des Mitarbeiters im beruflichen Kontext.
Soziale Systeme beeinflussen
Projekte sind ihrer Natur nach mit einem hohen Maß an Unsicherheit behaftet. Diese Unsicherheiten, sowie das Eintreten disruptiver Ereignisse sind Einflussfaktoren auf das soziale System „Projektteam“ wirken.
Zwar sind soziale Systeme beeinflussbar, jedoch sind sie aufgrund der Vielfalt der wirkenden Faktoren über eine zielgerichtete Beeinflussung nur begrenzt steuerbar. Damit erklärt sich, dass eine quasi algorithmische „Regelung“ von Projekten eine hohe Schwierigkeit darstellt.
Das Bewusstsein für diese Schwierigkeit beeinflusst die Diskussion über die richtige Form von Projektmanagement. Neben neuen Ansätzen der Reaktion auf diese vieldimensionalen Einflüsse, wie wir sie im Bereich der agilen Methoden finden (z.B.: VUCA & Denim Cycle), finden auch systemische Konzepte zunehmend Interesse.
Diese versuchten die Dynamik und Komplexität eines lebenden Systems mit seiner Unkontrolliertheit verständlich und damit besser beeinflussbar zu machen. Systemisches Denken ist geprägt von der Akzeptanz unterschiedlicher Perspektiven des gleichen Sachverhaltes, also der parallelen Existenz mehrerer Wahrheit auf Basis der individuellen Wahrnehmung nebeneinander.
Damit unterscheidet es sich von klassischen, wie auch von agilen Ansätzen, die von der Idee der Existenz eines „Wirkhebels“ zur zielgerichteten Beeinflussung der Situation geprägt sind. Der Einsatz des richtigen „Wirkhebels“ soll zur gewünschten Reaktion führen.
In der systemischen Betrachtung werden die beteiligten Menschen als autonom agierende Individuen betrachtet. Damit wird akzeptiert, dass diese zwar beeinflussbar, nicht aber beliebig von außen veränder- bzw. manipulierbar sind.
Die klassischen Mittel der sozialen Interaktionen im Bereich der Führung, wie Gespräche, Meetings, aber auch Vorgaben (z.B. Arbeitsanweisungen), ermöglichen nur eine eingeschränkte Steuer- und Kontrollierbarkeit. Die Wirkung dieser Mittel ist individuell. Kommunikation ist ein iterativer Prozess, in dem sich die beteiligten Personen gegenseitig beeinflussen. Eine in einem Meeting herbeigeführte Entscheidung wird also bei verschiedenen Mitarbeitern unterschiedliche Reaktionen auslösen und diese Reaktionen wiederum führen zu unterschiedlichen Reaktionen beim Vorgesetzten wie auch bei den Kollegen.
Das heißt, ein soziales System verhält sich abhängig vom Kontext, in dem ein Einfluss auf das System erfolgt, individuell. Von außen gesetzte Beeinflussungen im Sinne von vorgedachten Ursache-Wirkungs-Hebeln müssen also nicht zu der gewünschten zielgerichteten Veränderung führen.
Ein jedem bekanntes Beispiel ist die Beeinflussung von kleinen Kindern mit dem Ziel ein bestimmtes Verhalten auszulösen. An einem Tag kann das Versprechen eines Bonus (Es gibt Eis, wenn Du mit dem Aufräumen fertig bist) erfolgreich sein, an einem anderen Zeitpunkt löst dieses nur Verachtung oder Widerstand aus. Gerade im Bereich der agilen Software-Entwicklung mit Scrum lässt sich feststellen, dass verschiedene Scrum-Teams innerhalb eines Unternehmens, die an vergleichbaren Aufgaben arbeiten, oft eine sehr unterschiedliche Performance erreichen. Bei der Nutzung systemischer Betrachtungen können diese Differenzen oft erklärt werden.
Das Projektteam als soziales System
Projekte sind soziale Systeme, die für einen begrenzten Zeitraum bestehen und die neben Einflüssen aus der internen Kommunikation der Beteiligten auch Einflüssen durch die Stakeholder unterliegen.
Bei der Entstehung des sozialen Systems „Projekt“ geht es insbesondere darum, die Vielfalt, die die Teilnehmer in das Projekts einbringen können zu erhalten und nutzbar zu machen. Talente, Kompetenzen und Erfahrungen (insbesondere auch aus anderen Projekten) sollen Teil des Projektsystems werden.
Damit ein solches System einen stabilen Operationsmodus erreicht, muss der Einfluss der Stakeholder begrenzt bleiben. Das System entwickelt dann seine eigenen Operationsmodi und Kommunikationsmuster.
Systemisches Projektmanagement versucht über begrenzte Interventionen Einfluss zu nehmen. Durch das Setzen von Impulsen wird versucht, das System so in Bewegung zu setzen, dass Veränderungen ausgelöst werden, die eine neue für den gewünschten Zweck hilfreiche Konstellation des Systems stabil etablieren. Wird das angestrebte Ziel nicht erreicht, wird eine weitere Iteration über eine neue Intervention angeregt.
Dem Verständnis als soziales System zur Folge geht es darum Methoden und Lösungen für Kernfragen der (Projekt-) Teamarbeiten zu entwickeln:
- wie können wir gut kommunizieren,
- wie können wir gut zusammenarbeiten?
- wie können wir uns gut verstehen,
- ………
Typische Konflikte in Projekten können damit vermieden oder so frühzeitig bearbeitet werden, dass ihr Einfluss auf die Produktivität und Effizienz gering bleibt.
Fazit
Systemisches Projektmanagement ist keine eigenständige Projektmanagementsystematik, sondern eine notwendige und sehr hilfreiche Betrachtungsweise für das Agieren von Führungskräften und Mitarbeitern im Sinne einer ganzheitlichen Projektabwicklung. Durch die Beeinflussung des Kontextes, in dem das Projekt eingebettet ist, kann die Performance des Projektteams maßgeblich beeinflusst werden.
Systemisch zu denken und zu agieren bedeutet:
- Nie nur ein einzelnes Element, sondern möglichst viele relevante Elemente zu betrachten und zu berücksichtigen und aus diesen ein System von Elementen zum Thema bilden. Statt also nur ein Wort oder einen Satz zu dokumentieren ein vollständiges Bild der Situation zu malen.
- Das System und das Umfeld des Systems betrachten und die Unterschiede zwischen System und Umfeld verstehen, aber auch die zwischen den Elementen des Systems und deren Verhalten
- Den Menschen im System, aber auch denen, die extern auf das System einwirken, keine vereinfachenden Eigenschaften (der Besserwissende, der Oberflächliche, der Fleißige…..) zuordnen, sondern stattdessen das Wirken der erkannten Eigenschaften im Zusammenhang mit der Intension und dem Einfluss auf das System sehen.
- Verzicht auf lineare, scheinbar kausale Wirkungszusammenhänge zugunsten der Betrachtung von Wechselwirkungsnetzen innerhalb des Systems. So kann die offensichtlich fehlende Motivation eines Mitarbeiters Ursachen im privaten Umfeld haben, aus einer kommunikativen Ungeschicklichkeit des Vorgesetzten folgen und/oder aber in der Wahrnehmung des Umganges mit einem Kollegen begründet sein..
Die systemische Betrachtung des Projektsystems verhindert Vereinfachungen. Auf Vereinfachungen basierende Einflussnahmen würden auf exakt auf nur eine Indikation einwirken, können jedoch oft das Gesamtsystem negativ beeinflussen. Das systemische Management versucht dagegen das gesamte System zu beeinflussen und damit inherent auch die die spezifische Indikation zu beseitigen.
Soll die die Führung eines Projektes unter der Überschrift „Systemisches Projektmanagement“ durchgeführt werden, so wird auf vier Schwerpunktprioritäten fokussiert, die zielorientiert bearbeitet werden:
- systemische Schwerpunkte, wie systemische Haltung, Werkzeuge und Modelle
- typische Projektmanagementschwerpunkte wie z.B. klassische und agile Methoden
- fachliche Schwerpunkte, wie Konstruktion, Softwareentwicklung oder Produktentwicklung
- Entscheidungsfindung , also wie werden beispielweise Entscheidungen in den ersten drei Schwerpunkten vorbereitet und getroffen und wird dabei der systemische Blick angewandt.