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Kundenprojekte – Störfaktor im Business?

Eike Eilks, Interim Manager, Berater und Coach

Während eines Treffens mit ehemaligen Kollegen am Rande einer Messe sprachen wir über die Entwicklung in einem großen Unternehmen, das Steuerungskomponenten für industrielle Anwendungen entwickelt und verkauft.

Die Geschichte

Man hatte vor einiger Zeit in diesem Unternehmen die Entscheidung getroffen sich zukünftig ausschließlich auf das Produktgeschäft zu konzentrieren. Den Einsatz der Produkte bei Endkunden sollte zukünftig über Provider erfolgen. Diese Provider waren KMU mit direktem Marktzugang, die zukünftig auch die Projektabwicklung durchführen sollten.

Die offizielle Begründung hieß, diese wären dichter an den Endkunden und damit näher am Markt.

Das Konzept dahinter

Die interne Begründung hieß, so können man die Effizienz der Vertriebsmitarbeiter erhöhen, da diese die Provider als Multiplikatoren im Markt nutzen würden, ohne dabei die Vertriebskosten zu erhöhen. Und dann gab es noch weitere inoffizielle Argumente: Projekte sind risikobehaftet, und dieses Risiko könne man auf diesem Weg vermeiden bzw. nach extern verlagern. Des Weiteren könne man den Einkauf straffen, da man in den Projekten benötigte Produkte, die nicht aus eigenem Haus geliefert werden konnten, auch nicht mehr beschaffen müsse.

Nachdem die Strategie anfangs wirkte und im Rahmen dieser Strategie erkennbar bessere Umsatzzahlen generiert wurden, zeigte sich nach ca. 18 Monaten langsam eine zunehmend negative Entwicklung in Ergebnis und Umsatz.

Was war geschehen ?

Gespräche mit den Providern brachten nur wenige Erkenntnisse, die Gespräche mit den wenigen verbliebenen Endkunden hingegen schon.

Es zeigte sich, dass diese einen großen Wert auf den direkten Kontakt zu den Herstellern legten, auch um bei Problemen einfach und schnell einen qualitativ guten Support zu erhalten. Dieses war aber auf dem Umweg über die Provider nur eingeschränkt möglich. Auch die Möglichkeit, eine direkte Rückmeldung in die Produktentwicklung geben zu können wurde vermisst.

Um die Probleme auf den Baustellen zu verstehen, werden Mitarbeiter benötigt, die auf Baustellen tätig waren. Ein Support durch Produktexperten konnte die Erfahrung von baustellenerprobten Mitarbeitern nicht ersetzen.

Diese Mitarbeiter hatte man aber nach den Anfangserfolgen der neuen Strategie abgebaut oder neuen Aufgaben zugeführt. Kurzum, die Kompetenz Projekte abzuwickeln hatte man aufgegeben.

Die Endkunden und auch ein Teil der Provider hatten begonnen, sich alternativen Lieferanten zuzuwenden, die weiterhin über diese Kompetenz verfügten.

 

Die Erkenntnis, dass im Markt industrieller Lösungen die Wurzeln der Ergebnisse in den Endkundenprojekten liegen, kam spät und führte zu der Erkenntnis, eine Projektabwicklung erneut aufzubauen. Die Fähigkeit Projekte zu realisieren basiert aber auf der Erfahrung der in diesem Bereich tätigen Mitarbeiter.  Der Wiederaufbau dieser Kompetenzen wird lange dauern und von hohen Kosten begleitet sein.

Die Logik solcher Entscheidungen

Diese Geschichte ist nicht fiktiv, sondern hat in ähnlicher Form stattgefunden. Im Grundsatz zeugt sie nicht nur von einer Fehlentscheidung, die unter rein betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten (Optimierung der Vertriebsaufwendungen und Prozesse, sowie die Reduzierung des Risikos) fast zwangsläufig zu treffen war. Sie zeugt davon, dass die Grundparadigmen, nach denen das Unternehmen agierte, nicht mehr zum Markt passten.

Über seine lange Unternehmensgeschichte war das Unternehmen produktorientiert und mit einer dazu passenden funktionalen Linienorganisation gewachsen. Produktentwicklung, Produktion, Controlling und Vertrieb waren darin wesentliche Säulen mit jeweils eigenen Strukturen.

Die Projektabwicklung entstand entstand im Laufe der Unternehmensgeschichte auf Wunsch der Kunden nebenher und wurde nach Bedarf in Form einer quer zu diesen Säulen liegenden Matrix realisiert. Damit wurden die wirtschaftlichen Ergebnisse der Projekte zum Teil von den Linien aufgesaugt und die Projekte erschienen wenig wirtschaftlich. Auf eine ausreichende Proffessionalität wurde geachtet, jedoch wurde in der Projektabwicklung kein eigenes strategisch wichtiges Geschäftsmodell gesehen.

Somit werden Probleme in den Projekten als Störungen in den Linienfunktionen wahrgenommen. Immer wieder wurden Experten der Produktentwicklung bei technischen Problemen in den Projekten angefordert, so dass deren originäre Aufgaben in der Produktentwicklung unterbrochen wurden. Erkannte Mängel am Produkt aufgrund exotischer Anwendungen in Projekten führten zu Produktanpassungen und damit Änderungen im optimierten Produktionsablauf. Und Claim- oder Gewährleistungsforderungen seitens der Endkunden störten die Abläufe im Controlling.

Die Gründe dahinter:

Wir müssen ein wenig in die Geschichte der Betriebswirtschaftslehre zurückblicken, wenn wir das Problem verstehen wollen. Die Grundstrukturen der Linienorganisation von Unternehmen entstammen einer produktorientierten, unternehmenszentrischen Sicht auf die Märkte, die bis in die 70ziger Jahre hinein überwiegend Anbietermärkte waren. Der Markt fragte mehr Produkte und Dienstleistungen an, als lieferbar waren.

Über viele Jahrzehnte hatten sich über technologische Führerschaften zum Teil oligopolistische Strukturen entwickelt, in denen sich die Kunden mangels Alternativen oder aufgrund fehlender Markttransparenz quasi in einem Abhängigkeitsverhältnis von ihren Lieferanten befanden. In der Folge sahen sich die Kunden der Notwendigkeit gegenüber ihren Bedarf dem Angebot anzupassen. Projekt basierten also auf den lieferbaren Möglichkeiten. Die Betriebswirtschaftslehre der Lieferanten konzentrierte sich auf die Analyse und Optimierung von Produktion und Organisation.

 

Der Wandel

Mitte der 80ziger Jahre veränderten zwei Tendenzen die Märkte vollständig. Zu einen traten durch die zunehmende Globalisierung neue Anbieter auf die Märkte. Zum anderen wurden die Märkte durch die Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung zunehmend transparenter.

Damit wurden viele traditionelle Marktführerschaften infrage gestellt. Die nun stärker wirkende Konkurrenz führte zu einer Emanzipation der Kunden, die sich bei der Auswahl der Lieferanten auf verschiedene Kriterien (Preis, Funktion, Nachhaltigkeit, Liefertreue, Qualität, …) fokussierten.

 

Von den Lieferanten wurde nun offen gefordert, Lösungen für den Bedarf des Kunden zu bieten oder den Auftrag einem Konkurenten zu überlassen. Dieses forderte von den Lieferanten ein erheblich höheres Maß an Flexibilität und damit auch neue Vertriebsstrategien. War der bisherige Vertrieb in gewissem Sinne eine Routine, die mit der Vertragsunterschrift endete, so gewinnt das Geschäft jetzt projektähnliche Züge, die mit den ersten Vertriebsaktivitäten beginnen und die sich im positiven Fall über die gesamte Lebensdauer der Kundenanlagen fortsetzen.

Diesen Wandel haben viele Unternehmen zwar verstanden, aber noch nicht ausreichend nachvollzogen. Er ist auch nicht auf diese Branche oder die Industrie begrenzt. Teilweise gibt es auch Konzepte und Antworten, wie mit diesem Wandel umzugehen ist, zum Teil sind diese auch realisiert.

Jedoch sind die etablierten Managementsysteme überwiegend immer noch auf wiederkehrende Abläufe und dem Handling bekannter Einflussfaktoren ausgelegt und ignorieren somit auch die Realität der Existenz der VUCA-Welt. Das Management eines Geschäftes, das sich mit jedem Auftrag ändert oder gar für unbekannte Rahmenbedingungen ausgelegt ist, benötigt aber andere Strukturen. Oft fehlt sogar das Bewusstsein für verschiedene Natur der Lieferung von „COTS“-Produkten und der Bearbeitung von kundenindividuellen Aufträgen.

Eine Lösung:

Kommerzielle Projekte aus einer Linienorganisation heraus sinnvoll zu führen scheitert schnell aufgrund von Zielkonflikten der Linienverantwortlichen.

Projektgetriebene Geschäftsmodelle verlangen nach einer Kultur, die dem in den Projekten erwirtschafteten Ergebnis die gleiche Bedeutung zuordnet wie dem durch das auszuliefernde Produkt erwirtschafteten Wert. Ein Verständnis, das in den Projekten einen wesentlichen Vertriebskanal für die Produkte sieht, ist hilfreich, zumal erfolgreiche Projekte ein hervorragendes und gern genutztes Marketinginstrument sind. Zum anderen fokussieren selbstverantwortete Projekte den Einsatz eigener Produkte und reduzieren den Einsatz von Konkurrenzprodukten wirkungsvoll.

Sinnvoll ist also ein holistischer Ansatz, in dem statt einzelner abteilungs- oder profitcenterbezogener KPI eine Gesamtoptimierung des wirtschaftlichen Erfolgs im Vordergrund steht. Das Unternehmen ist also dem Geschäft und dessen Veränderung anzupassen. Dabei sind Kultur und Organisation einzubeziehen. Es betrifft alle grundsätzlichen Strukturen und Werte des Unternehmens wie Hierarchien, Zuständigkeiten, Vergütungsmodelle, Denkweisen und vieles mehr.

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