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Führung im Dilemma zwischen Gestern und Morgen

Eike Eilks, Interim Manager, Berater und Coach

Führungskräfte hatten (und haben) die Aufgabe, die vom Management der Organisation vorgegebenen Rahmenbedingungen auszugestalten. Diese Aufgabe nehmen sie wahr, während sie selber Teil dieses Managements sind.

Im Regelfall erfolgt dieses, in dem sie die von der Organisation vorgegebene Zielvorgaben mittragen und deren Erreichung anstreben. Zur Unterstützung nutzen sie die vorgegebenen Führungsrahmen und Werkzeuge, die auf bestimmten Menschenbildern basieren und diesen Methoden zuordnen.

Aus den Zielen entsteht die Forderung nach Lösungskompetenz und Hochleistung, die die Teams realisieren sollen. Dazu gehört eine effiziente Führung. Hochleistung bedeutet aber selten eine bestimmte Produktivität zu erreichen oder ein bestimmtes Niveau, sondern meist ein „Mehr“ gegenüber einer vergangenen Periode.

Andererseits fordern die heute immer weniger planbaren Märkte eine hohe Anpassungsfähigkeit von den Teams, die sich notwendigerweise auch auf deren Strukturen bezieht und damit auf die Formen der Führung. Dieser Veränderungsaufwand wiederum reduziert die (Hoch-) Leistung, das „Mehr“ gegenüber der Vorperiode ist eigentlich nicht anwendbar, weil das „Was“ sich verändert hat.

Somit müssen auch die Führungsrahmen und Methoden immer wieder angepasst werden. Auf der einen Seite wird also weiterhin ein sich häufig änderndes Regelwerk vorgegeben, auf der anderen Seite wird organisatorische Vielfalt und Selbstorganisation gefordert. Zumal sich auch die Modelle, für die diese Regelwerke geschaffen wurden, nur für immer kurzfristigere Zeiträume passen.

Ansätze für neue Arbeitswelten und Führungsformen geistern durch die Unternehmen, durch die Köpfe der Entscheider und durch die Reihen der Mitarbeiter. Agilität, Selbstverantwortung, Selbstorganisation und Ansätze demokratischer Strukturen werden diskutiert und probiert. Und gleichzeitig wird weiterhin gefordert, die vorgegebenen Rahmenbedingungen einzuhalten und auszugestalten.

Auch erfahrene Führungskräfte sind aufgrund der fehlenden Kontinuität stark heraus- und zum Teil überfordert. Die im operativen Geschäft benötigten Entscheidungen bleiben aus oder werden delegiert. Die strategische Ausrichtung der Unternehmen erscheint unklar, die langfristige Zielrichtung bleibt diffus und wird als hochgradig veränderlich wahrgenommen.

Die nächsten Schritte im operativen Geschäft sind aber dennoch zu tun. Auch wenn die Arbeitslast der Führungskräfte nach vielen Jahren der finanziellen und personellen Optimierung und Überoptimierung hoch ist, wird die geforderte Selbstverantwortung für dieses Geschäft in den verfügbaren Freiräumen übernommen und entsprechende Entscheidungen im Sinne des Aufgabenbereiches oder des Projektes gefällt.

Bis dann kleine Probleme, wie sie schon immer existierten, auftreten und Entscheidungen von anderer Stelle einfordern. Statt diese Entscheidungen zu treffen und den Stand der Dinge zu akzeptieren, schreit irgendjemand auf und postuliert, dass hier alles schief gegangen ist, weil die Rahmen, Regeln, Prozesse verletzt wären, weil die Ziele des Unternehmens strategisch ganz woanders lägen, weil bestimmte Entscheidungsträger nicht ausreichend frühzeitig eingebunden wären und weil überhaupt…..

Sind also die aktuellen Ansätze eher etwas für die Rundablage?

Führung hat eine neue Kernaufgabe erhalten

Führungskräfte sind bedingt durch die heutige Komplexität der Arbeitswelt, der Technologie und der Märkte, wie sie sich heute darstellen, nur noch selten auf der fachlichen Ebene der erste unter ihren Experten. Auf der fachlichen Ebene haben moderne Teams oft mehrere Schwerpunktexperten nebeneinander. Diese sind fachlich sehr versiert, aber selten auch gute Führungskräfte. Ein echter Experte beispielsweise für Datenbanken oder für chemische Synthese hatte auf seinem Weg zum Expertentum nur beschränkt die Möglichkeit die Kompetenzen zu erwerben, die heute von einer Führungskraft gefordert werden.

Damit verändert sich das klassische tayloristische Verständnis von Führung aus einer hierarchischen Macht- und Statusposition heraus um. Das Fehlen der von “oben“ zugewiesenen Begründungen für die Führungsrolle aufgrund fachlicher Kompetenz ist meist offensichtlich.

Fehlt aber die Autorisierung auf der fachlichen Ebene muss die Führungskraft dieses mit anderen Kompetenzen kompensieren. Dennoch haben die Führungskräfte weiterhin die verantwortliche Funktion, von der erwartet wird, dass sie den großen Überblick über alles hält und dass sie auch im Detail lenken.

Diese Veränderung verlangt von den Führungskräften einen Wechsel von einem fachbezogenen zu einem menschenbezogenen Rollenverständnis.  Dieses zu schaffen erfordert ein hohes Maß an persönliche Entwicklung, auf das in den wenigsten Ausbildungswegen vorbereitet wird. Auch eine kompetente Unterstützung durch die eigenen Vorgesetzten ist hier selten, da auch diese ihre Führungsrolle in den tayloristischen Strukturen gelernt und entwickelt haben.

Aktuelle Führungsansätze wie situative Führung, Führung als Coaching oder transformationale Führung (unabhängig davon, in wie weit diese sich überlappen) sind aus Sicht der definierten Führungsrahmen offener und beginnen die Mitarbeiter einzubeziehen.

Führungskräfte, die neue Führungsansätze praktizieren und leben wollen, finden sich jedoch in einem Dilemma wieder. Sie agieren zwischen den in Literatur und Öffentlichkeit propagierten neuen Führungsstilen, die auch von den Mitarbeitern erwartet werden, auf der einen Seite und den Controllingstrukturen und Führungsrahmen der alten Systeme auf der anderen Seite. Außerdem sollen sie ihren Verantwortungsbereich dahingehend weiterentwickeln, dass sie mit passenden Führungsstrukturen auch zukünftigen Anforderungen in der sich schnell ändernden Welt gerecht zu werden.

Die bestehenden althergebrachten Strukturen haben ein erhebliches Beharrungsvermögen. Bilanzierungsrichtlinien, Regeln zur Projektkalkulation und zum Risikomanagement und vieles andere sind vererbte Paradigmen. Damit sind sie fast indiskutierbar, weil sie im Grundsatz Teil des wirtschaftlichen Weltbildes sind. Sie fordern weiterhin die alten lineare Wirkhebel, anstatt komplexe, heterogene Räume als Quelle für Lösungen zu akzeptieren oder gar bereitzustellen.

Wie wird und muss die Zukunft aussehen

Die Unternehmen werden sich in den nächsten Jahren weiter wandeln, weil die Märkte sich weiter wandeln. Die alten Strukturen passen heute oft schon nicht mehr zu den aktuellen Märkten. Ein wesentlicher Teil dieses Wandels betrifft dabei die Führung.

Führung wird in den nächsten Jahren differenzierter wahrgenommen werden. Führung wird seinen Schwerpunkt in einer visions- und strukturgebenden Rolle finden, bei der die fachliche Führung in den Hintergrund tritt und verblasst. Diese Funktion wird von den Experten und zum Teil von den Berufsanfängern übernommen werden. Schon heute ist in den meisten technischen Studienrichtungen das im Studium vermittelte fachliche Wissen nach wenigen Jahren veraltet. Der technische Experte wird weiterhin auch Erfahrung benötigen, wichtiger für ihn ist aber das Streben nach ständiger fachlicher Weiterbildung.

Führung bedarf also anders gearteter Fähigkeiten. Grundlegendes fachliches Wissen gehört dazu, wichtig ist aber vor allem Empathie und Reflexionsfähigkeit. Führungskompetenz hängt weniger als bisher von Alter ab. Sie erfordert eine gewisse Lebenserfahrung, die Akzeptanz und persönliche Reputation ermöglicht. Führung wird weiterhin Strukturen brauchen, die einen Rahmen bilden, aber diese Strukturen sind nicht mehr vorgegeben, sondern für jede Organisation und Aufgabe individuell zu entwickeln und unter Einbindung der Mitarbeiter zu pflegen. Die Fähigkeit dieses zu leiten ist eine der wesentlichen Kernkompetenzen.

Entwickelt sich dieses neue Verständnis über alle Hierarchiestufen, so wird es möglich, auch andere Strukturen zu verändern.  Für viele der überkommenen Strukturen gibt es bereits Alternativen, die von wenigen Unternehmen eingeführt wurden und erfolgreich praktiziert werden. Veränderungen sind also möglich.

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