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Das Leid mit dem Schätzen

Eike Eilks, Interim Manager, Berater und Coach
Um ein Projekt zu planen ist es notwendig die Arbeitsabläufe in Schritte zu zerlegen und den Aufwand dieser Arbeitsschritte (bzw. Arbeitspakete) individuell abzuschätzen. Die Literatur ist voll von Methoden, um bei dieser Arbeit eine hohe Zuverlässigkeit zu erreichen.

Dennoch gelingt es selten eine Planung so aufzustellen, dass alle Aspekte des magischen Dreiecks, also Zeitbedarf, Qualität und Kosten in der Abwicklung des Projektes dem Sinne nach erreicht werden. Ein Großteil der Projekte dauert länger als geplant, die geplanten Kosten werden deutlich überschritten und bei den inhaltlichen Aspekten gibt es Mängel.   Wo sind die Gründe zu finden?

Planungsarbeit

Um ein Projekt durchzuführen werden Mitarbeiter benötigt, die die notwendigen Arbeiten abarbeiten. Abhängig von ihrer Qualifizierung, ihrer Erfahrung, von den zur Verfügung stehenden Werkzeugen und von der Unterstützung durch Kollegen werden diese Mitarbeiter eine bestimmte Zeit benötigen, um das Arbeitspaket zu beenden. Auch physische Einflussfaktoren (Fitness, Schlaf…) und psychische Faktoren (privates Umfeld, Depressionen…) beeinflussen die individuellen Leistungsfähigkeit und damit den notwendigen zeitlichen Aufwand. Je nach Mitarbeiter kann die Dauer, die zur Bearbeitung eines Arbeitspaketes benötigt wird, also sehr unterschiedlich ausfallen.

Um den Bedarf festzulegen wird meist ein erfahrener Kollege befragt, der aufgrund seiner Erfahrung den notwendigen Aufwand beurteilen kann und dessen Abschätzung der Planung zugrunde gelegt wird. Einem jüngeren Kollegen fehlt hierzu meist die Erfahrung, auch wenn dieser evtl. innovative produktivitätssteigernde Werkzeuge oder Maßnahmen einsetzten würde.  

Welche Fehler passieren dabei?

Planungsfalle 1: Stille Post oder worüber sprechen wir eigentlich?

Wir gehen erst einmal davon aus, dass ein sehr erfahrener Kollege den Aufwand für ein Arbeitspaket aufgrund seiner Erfahrung gut abschätzen kann. Aus diesem Grund wird er meist dazu befragt. Leider entspricht später der geplante Stundenansatz nicht den von ihm geschätzten Aufwand. Warum ist das so?

Ein Beispiel:

Der sehr erfahrene Kollege Anton Heiperform schätzt für das Arbeitspaket AP47120814 eine Dauer von rund 3 Monaten zur Bearbeitung als notwendig ein und dokumentiert dieses. Aus seinem Blickwinkel wären das ca. 60 bis 70 Arbeitstage zu 8 – 10 Stunden, also rund 600 Stunden. Diese Information wird übernommen und konkretisiert. Allerdings werden für die weitere Bearbeitungn die von Anton kommunizierten 3 Monate für das AP47120814 nun in 12 Wochen umgerechnet, der Monat hat ja schließlich 4 Wochen.

Die Feinplanung braucht es noch genauer und wandelt die 12 Wochen für das AP47120814 in 60 Arbeitstage um. Am Schluss erfolgt die Kostenplanung. Diese kalkuliert auf Basis von Arbeitsstunden. Die Kostenplanung berücksichtigt also 420 Stunden, da wir ja tarifgebunden sind und eine 35 Stundenwoche haben. Die üblichen 80€ durchschnittlicher Stundensatz bilden die Grundlage für die Angebotskalkulation und das Angebot an den Kunden. Es stehen also rund 33600,00 € zur Bearbeitung des Arbeitspaketes AP47120814 zur Verfügung. Kennen Sie diesen Effekt? Ich habe ihn leider mehr als einmal erlebt. Niemand hatte dabei eine böse Absicht. Jeder hat jedoch das verstanden, was er zu verstehen glaubte oder wollte. Aus den 650 Stunden Schätzung eines Erfahrungsträgers wurden also 420 Stunden für einen gut ausgebildeten Tarifmitarbeiter. Da nur dieses Volumen auf der Kostenseite eingeplant wurde, müsste Anton Heiperform mit seinem Stundensatz von 105€ das Arbeitspaket AP47120814 sogar nur in 320 Std., also in rund der Hälfte der von ihm geschätzten Zeit fertigstellen. Dabei haben wir die üblichen Kürzungen und andere Reduzierungsriten während des Planungsprozesses noch nicht einmal berücksichtigt. TIP: Schätzungen am besten immer gemeinsam machen. Klären, worüber der jeweils andere spricht und sicherstellen, dass man vom gleichen spricht. Dabei sind Dauer, Leistung und Arbeit nicht identisch, geschweige denn Synonyme für die Kosten.  

Planungsfalle 2: Puffer aufgrund Erfahrung

Lassen Sie uns auch hier ein Beispiel  besprechen: Peter Planer beabsichtigt sein Grundstück neu zu gestalten und für seine Kinder einen kleinen Spielplatz im hinteren Teil des Gartens einzurichten. Ein Teil davon ist eine größere Sandkiste, die ca. 1 m3 Sand enthalten soll. Der Sand wird an die Grundstücksauffahrt geliefert und dort abgekippt. Peter Planer ist ein gut ausgebildeter Projektplaner. Leider ist er beruflich überwiegend abwesend, da er gerade den Neubau eines Flughafens in einer großen deutschen Stadt plant. Er will daher zwei Bauhilfskräfte, Willy und Werner Wacka, für 20 € Stundenlohn beauftragen, den Sand mit einer Schubkarre in den Garten zu fahren und im Sandkasten zu verteilen.

Die Planung

Peter Planer ist Profi und überlässt nichts dem Zufall. Mit Hilfe von Simulationen, Experimenten und Mathematik hat er im Vorfeld den Transport simuliert und berechnet, wie lange diese Aufgabe dauern wird:
  • Der Weg von der Auffahrt bis zum Sandkasten beträgt mit der Karre ca. 60 Sekunden.
  • Das Befüllen der 100 Liter großen Karre beträgt mit Reserve ca. 3 Minuten
  • Weitere 60 Sekunden setzt er für Auskippen und Verteilen des Sandes an

Ein Transport sollte 7 Minuten ± 60 Sek. dauern. Pausen sind gesetzlich erst nach 3 Stunden vorgeschrieben, können also vernachlässigt werden. Peter Planer gibt noch etwas Reserve hinzu und geht der Gaußschen Normalverteilung folgend von einer Dauer von 6-8 Minuten pro Transport aus. Es werden ca. 10 Transporte erforderlich sein. Mit der neuen Karre sollte die Arbeit also mit einer Wahrscheinlichkeit von 75% in 75 Minuten erledigt sein. Nach seiner Planung wird es mehr als ausreichend sein, wenn er die beiden für eineinhalb Stunden Dauer beauftragt. Das wären dann also 60€ für beide.

Die andere Seite

Willy und Werner Wacka sind erfahrene Bauhilfskräfte. Sie haben schon viel erlebt und gehen für diesen Auftrag von einem knappen Vormittag aus, also eher von 3-4 Stunden. Damit wären aus Ihrer Sicht rund 150€ angemessen. Geht’s noch? Peter hat doch die richtige Dauer genau berechnet und kann das auch nachweisen. Er wollten am gleichen Vormittag noch weiteres Material anliefern lassen! Wollen die beiden nur Geld schinden? Woher kommt diese starke Abweichung? Willy und Werner sind seit vielen Jahren auf dem Bau tätig. Sie haben vieles erlebt. Falsches Werkzeug, zerbrechende Schaufelstiele, Karren mit Plattfuß oder mit einer Kunststoffwanne, die unter der Belastung bricht. Auch Regen, der den Sand schwer und schlammig macht, würde die Arbeiten verlängern.

Außerdem wissen die beiden, dass außer dem Befüllen, dem Transport und Verteilen noch andere Aufgaben notwendig sind, wie das Zusammenfegen vor den letzten zwei bis drei Karren oder das Reinigen der Geräte. Und sie sehen zu Recht die Aufgabe als körperlich herausfordernd an, so dass Erschöpfung eintreten kann und kleinere Pausen notwendig werden. (Und, um ehrlich zu sein: Wer einmal 1 m3  feuchten Sand von einer Ecke eines großen Grundstücks um ein Haus herum in die gegenüberliegende Ecke mit der Karre transportieren musste, der weiß, dass man dazu einige Zeit braucht.)

Der Unterschied

Willy und Werner sind keine Planungsprofis, aber würden wir sie befragen, wie wahrscheinlich der Abschluss der vollständigen Arbeit in einer bestimmten Zeit ist, so würde Ihr Verteilungsdiagramm ganz anders aussehen. Erst bei ca. 3,5 Stunden wären sie bereit, den Abschluss der Arbeiten zu versprechen, jedoch nicht vertraglich zu garantieren. Gleiches passiert bei der Abschätzung in unseren Projekten. Kein Mitarbeiter geht davon aus, dass die Arbeiten unter optimalen Bedingungen erfolgen werden. Optimale Bedingungen bedeutet:
  • –          Keine Störungen,
  • –          Keine Veränderungen,
  • –          Keine Unterbrechungen
  • –          Werkzeuge voll verfüg- und nutzbar
  • –          Alle Fragen sind vorab geklärt
Planung ist immer der Blick in eine mögliche denkbare Zukunft. Dieser Blick basiert auf Annahmen, Erfahrungen und Schätzungen. Analytische Verfahren sollen diese oft ersetzen. Dabei basieren auch auf einem auf Erfahrungen basierenden Model, das den Ablauf und Aufwand beschreibt. Aber auch dieses Model ist immer nur eine Annahme und was beeinflussende Parameter angeht meist unvollständig. (Im Bereich agiler Projektabwicklung, insbesondere in der Softwareentwicklung hat man diesem bereits Rechnung getragen, indem man das Schätzen von Volumen hinsichtlich Zeitbedarf durch eine Schätzung auf Basis von Storypoints entlang einer Fibonacci Scala innerhalb eines fixen Time-Frames mit offenem Ergebnis ersetzt. Dieses ist jedoch bei definiertem Umfang und exaktem Ergebnis nicht übertragbar.) Beide Vorgehensweisen (die analytische und die erfahrungsbasierte) führen meist zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Beide Ergebnisse haben aber Ihre Berechtigung und sind realistisch. Die Differenz ist die Variabilität der Zukunft, oder besser die Differenz zwischen der optimalen und der wahrscheinlichsten Entwicklung.  Wenn wir beide Ergebnisse als richtig akzeptieren, dann wäre die Differenz als Unsicherheit über das Kommende zu definieren. Wir sprechen also von einem Puffer. Auf den Umgang mit diesen Puffern komme ich in einem späteren Teil dieser Serie zurück.

Ausblick

Im dritten Teil dieser Serie werde ich auf die menschliche Seite der Planungsarbeit eingehen. Dabei werde ich betrachten, wie Erfahrungen im Umgang mit den abgegebenen Schätzungen einen Einfluss auf die Werte nehmen. .

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